WELT AM SONNTAG: Herr Daum, das autonom fahrende Auto scheint in greifbare Nähe zu rücken. Wann bringen Sie Roboter-Lkw auf den Highway?
MARTIN DAUM: Irgendwann zwischen 2025 und 2030 - ohne, dass ich mich auf Anfang oder Ende des Zeitraums festlegen möchte. Wir arbeiten mit Hochdruck am autonomen Lkw. Aber das autonome Fahren ist eine echte Herausforderung, und es muss zu 100 Prozent sicher sein. Der Computer muss dabei höhere Anforderungen erfüllen als der Mensch.
Brauchen wir dann keine Lkw-Fahrer mehr?
Wir werden immer Bus- und Lkw-Fahrer brauchen. Viele besonders komplexe Fahrsituationen kann der Computer auch in Zukunft nur schwer übernehmen. Man muss beim automatisierten Fahren zwei Dinge trennen: Das erste sind Assistenzsysteme, die dem Fahrer helfen, besser und sicherer zu steuern. Das zweite ist der selbstfahrende Lkw, den wir in den USA entwickeln. Er wird im sogenannten Hub-to-Hub-Verkehr fahren - von einem Betriebshof in der Nähe des Highways zu einem anderen, der auch am Highway liegt. Das kann eine Antwort sein auf den Fahrermangel: Den unangenehmen Teil der Reise, die langen Strecken, übernimmt der Computer. Im dichten Verkehr auf den letzten Kilometern steuert der Mensch.
Hilft das auch gegen Staus? Es wird immer voller auf der Autobahn.
Mehr Lkw sind eine Begleiterscheinung von wachsendem Wohlstand, und es gibt ja auch immer mehr Pkw. Leider fangen wir meist zu spät mit dem Ausbau der Infrastruktur an. Eine marode Brücke führt zum Stau, eine zweispurige Autobahn, wo das Verkehrsaufkommen eine dreispurige erfordert, muss ausgebaut werden. Ich habe lange in den USA gelebt, dort gibt es weniger Lkw-Staus.
Liegt das nur an den Straßen?
Nein. Die Hauptursache für Stau ist die sogenannte Differenzgeschwindigkeit zwischen Lkw und Pkw. Sie ist in den USA geringer. Bei uns dürfen Lkw nur 80 Stundenkilometer fahren, Pkw dagegen wesentlich schneller. Technisch könnten Lkw schneller fahren, das will man aber nicht. Die zweite Möglichkeit wären längere und schwerere Wagen. Das wird von den Bürgern auch nicht gewünscht. Jetzt versuchen wir, mit vernetzten Systemen mehr Sicherheit und einen besseren Warenverkehr hinzubekommen.
Was könnte die Politik tun?
Wir haben mit der Maut ein gutes Instrument in Deutschland, das könnte man nutzen, um den Verkehr zu entzerren. Man könnte in verkehrsarmen Zeiten die Maut senken und sie in Rushhours und um Städte herum deutlich erhöhen. Dann würden sich die Speditionen darauf einstellen.
Die Politik setzt aber vor allem die Hersteller unter Druck. Der Chef des Autoriesen Stellantis, Carlos Tavares, hat vor Kurzem gesagt, die Konzerne würden von ihr zum Umstieg auf Elektroautos gezwungen. Stimmt das?
Das stimmt weder für die alte Daimler AG noch für die neue Daimler Truck. Wir wollen unseren Beitrag leisten, um den Klimawandel zu bekämpfen. Wir stehen zu 100 Prozent hinter dem Pariser Abkommen, unsere Fahrzeuge und die Produktion werden klimaneutral. Künftig muss der Strom aber auch grün sein.
Bei den Pkw-Herstellern geht der Umstieg inzwischen ziemlich schnell. Muss Ihnen die EU auch mit Strafen drohen, damit Sie die Elektrifizierung beschleunigen?
Wir werden unsere Flottenziele 2025 und auch 2030 auf jeden Fall erfüllen. Nicht aus Angst vor Strafe, sondern aus Überzeugung. Unser Ziel ist es, im Jahr 2039 keine Fahrzeuge mehr mit Verbrennungsmotoren in unseren wichtigsten Märkten auszuliefern.
Wieso dauert das so lange?
Für emissionsfreie Nutzfahrzeuge braucht man drei Faktoren: gute Fahrzeuge, eine funktionierende Infrastruktur und die sogenannte Betriebskostenparität mit dem Verbrenner - damit sind die gesamten Kosten für Anschaffung und Nutzung gemeint. Wenn einer dieser Faktoren null ist, kauft keiner einen Elektro-Lkw. So war es noch vor drei Jahren, das hat sich aber geändert. Bis 2030 können emissionsfreie Fahrzeuge mit Brennstoffzelle oder Batterie bis zu 60 Prozent des Marktes ausmachen. Das hängt von vielen externen Faktoren ab, etwa der CO2-Bepreisung oder einer ausreichenden Ladeinfrastruktur.
Dänemark und die Niederlande verbieten schon ab dem Jahr 2025 neue Stadtbusse mit Dieselmotoren, kommt der Umschwung in diesen Ländern schneller?
Bei Stadtbussen kann ich mir die Elektrifizierung in der Breite sehr schnell vorstellen. Wir haben unsere Produktion so aufgestellt, dass Elektro- und Dieselbusse seit 2018 über dasselbe Band laufen und der Kunde entscheidet, welchen Antrieb er möchte.
Wann werden Batteriefahrzeuge billiger als Diesel?
Ein Nullemissionsfahrzeug wird in der Anschaffung immer teurer sein als eines mit Verbrennungsmotor. Die Batteriepreise sinken zwar, und die Produktionskosten werden mit großen Stückzahlen günstiger. Aber die Materialkosten, beispielsweise für seltene Rohstoffe wie Kobalt oder Mangan, werden deutlich steigen. Das Entscheidende ist daher der Preis für grüne Energie. Damit es sich lohnt, muss der Strompreis auf 15 Cent pro Kilowattstunde sinken und der Wasserstoffpreis auf vier Euro pro Kilogramm.
Wie viel höher sind die Preise heute?
Ein Kilo Wasserstoff kostet acht bis zehn Euro, Strom an der Autobahn bekommt man beispielsweise für etwa 50 Cent pro Kilowattstunde. Der Gesetzgeber kann natürlich eingreifen, indem er die Kosten für CO2-Emissionen erhöht, sprich die Steuer auf Benzin und Diesel. Das kommt beim Bürger aber nicht gut an. Man könnte für emissionsfreie Lkw stattdessen Anreize über das Mautsystem schaffen.
Ökonomisch wäre das der effizienteste Ansatz.
Es hätte den Effekt, dass derjenige, der viel fährt, am schnellsten umstellt. Wer sehr wenig fährt - das Technische Hilfswerk, die freiwillige Feuerwehr -, könnte dann noch lange den Diesel nutzen. Das würde der Umwelt kaum schaden.
Anders als Pkw-Käufer rechnen Spediteure mit den gesamten Kosten, also Anschaffung plus Betrieb. Wenn der Batterie-Lkw in dieser Rechnung billiger wird als der Diesel - kippt dann der Markt?
Das wird so kommen, in der Zeit zwischen 2025 und 2030. Der Wandel wird dann praktisch über Nacht passieren. Aber nur, wenn die Infrastruktur bereitsteht. Sie ist der limitierende Faktor. Ein Batterie-Lkw braucht eine Ladeleistung von 700 Kilowatt. Hat man 50 Lkw an einer Raststätte, dann braucht man also 35 Megawatt Ladeleistung. Das wird eine Riesen-Herausforderung für die Energieunternehmen, zumal noch 40 bis 50 Pkw-Ladesäulen dort stehen werden. Wir fahren deswegen eine zweispurige Strategie mit Wasserstoff und Batterie.
Haben Sie für den Wasserstoff-Lkw schon Interessenten?
Wir haben deutlich mehr Interessenten als Fahrzeuge. Unser erster Test-Lkw fährt schon. Die Kunden bekommen die Wagen ab 2024 in kleinen Stückzahlen und ab 2027 in der Serie.
Warum erst dann?
Weil wir noch keinen grünen Wasserstoff haben. Wir sprechen darüber mit Shell, TotalEnergies, Air Liquide, Linde - mit allen großen Spielern im Gasbereich. Sie müssen die entsprechenden Wasserstoffmengen liefern, sobald wir die Fahrzeuge verkaufen.
Wird es auch Brennstoffzellenbusse geben?
Ja, definitiv im Reisebusverkehr auf der Langstrecke. Der Bus wird nach dem Brennstoffzellen-Lkw kommen. Die Ziele liegen ja oft abseits der großen Verkehrsadern, da ist der Wasserstofftank sinnvoller als die Batterie. Im Stadtverkehr ist dagegen der Batteriebetrieb die bessere Variante. Die Fahrzeuge kommen immer ins gleiche Depot zurück, wo sie heute noch hauptsächlich betankt und in Zukunft eben ausschließlich geladen werden.
Glauben Sie, dass sich das Busgeschäft nach der Pandemie wieder erholen wird, oder ist der Busfernverkehr tot?
Glauben Sie, dass die Menschheit für immer in ihren Homeoffices bleibt? Der Mensch wird wieder in die Feme streben, daher mache ich mir um den Bus überhaupt keine Sorgen. Wir haben bei der Entwicklung im Busbereich auch kein Tempo herausgenommen, obwohl wir zwei Jahre lang kaum einen Reisebus verkauft haben.
Wann rechnen Sie wieder mit Bestellungen?
Die ersten Bestellungen kommen gerade herein, die Welt bewegt sich wieder. Aber es wird ein langsamer Anfang sein. Falls wir 2023 Corona hinter uns haben, sind wir wieder voll im Geschäft. Aber ob das so kommt, kann natürlich niemand wissen.
Ziemlich sicher ist dagegen, dass Daimler Truck Mitte März in den Dax aufsteigt. Was bedeutet das für Sie persönlich, zum Chef eines Dax-Konzerns zu werden?
Auf der einen Seite fast nichts, auf der anderen alles. Man wird ja nicht gewählt in den Dax, sondern der Aufstieg folgt formalen Kriterien wie dem Börsenwert. Er bestätigt aber, dass wir ein wichtiges Unternehmen in Deutschland sind. Wir haben Verantwortung für 100.000 Mitarbeiter, und es gibt fast kein Land auf der Welt, in dem unsere Produkte nicht genutzt werden. Diese Verantwortung zu leben, in einem tollen Team, ist für mich Bürde und Freude zugleich. Das war mein Lebenstraum - und den verwirkliche ich.
Quelle: Printausgabe WELT am SONNTAG, 27.02.2022: Wir fahren ZWEISPURIG, Autor: Daniel Zwick