- Es gilt das gesprochene Wort –
Guten Abend Ihnen allen. Ich freue mich, heute Abend hier zu sein. Bevor ich ein paar Gedanken zur Dekarbonisierung mit Ihnen teile, möchte ich meine Glückwünsche aussprechen. Zunächst einmal: Herzlichen Glückwunsch an die UC Davis, die diese Veranstaltung ins Leben gerufen hat! Und ich gratuliere zur Eröffnung des European Transport and Energy Research Centre! Ich weiß, dass drei Personen hierbei eine Schlüsselrolle gespielt haben:
- Dan Sperling, Leiter UC Davis Institute of Transportation Studies,
- Lew Fulton, Direktor STEPS und Energy Futures bei ITS-Davis,
- und Pierpaolo Cazzola, Direktor European Transport and Energy Research Centre.
Meinen herzlichen Glückwunsch!
Das UC Davis Institute of Transportation Studies leistet in den USA sehr wertvolle Arbeit. Es erstellt Daten zur Unterstützung der Klima- und Verkehrspolitik und schafft ein Forum für Hersteller, politische Entscheidungsträger, Wissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen. Es ist eine großartige Plattform, um Daten und politische Maßnahmen sehr konstruktiv zu diskutieren – was bereits zu Regulierungen geführt hat, von denen Umwelt und Wirtschaft profitieren. Ich bin daher sicher, dass das European Transport and Energy Research Centre hier in Europa zukünftig eine sehr konstruktive Rolle spielen wird. Die heutige Veranstaltung ist ein guter Anfang. Hier kommen alle Beteiligten zusammen - und das ist auch dringend nötig. Denn die Umstellung auf null Emissionen ist eine so gewaltige Aufgabe, dass sie niemand allein bewältigen kann. Wir können sie nur gemeinsam meistern.
Einige von Ihnen wissen wahrscheinlich, dass ich diese Aufgabe gerne mit einer Multiplikation von drei Faktoren vergleiche. Um den emissionsfreien Verkehr Realität werden zu lassen, brauchen wir nicht nur die richtigen Fahrzeuge. Wir brauchen auch die richtige grüne Energieinfrastruktur für Batterie- und Wasserstofffahrzeuge. Und wir brauchen Kostenparität mit konventionellen Fahrzeugen. Unsere Kunden müssen ihre Fahrzeuge problemlos aufladen können. Und sie müssen mit ihnen Geld verdienen können. Sonst kaufen sie sie nicht. So einfach ist das.
Diese drei Faktoren sind in einem Multiplikationsproblem miteinander verbunden, was bedeutet: Wenn ein Faktor Null ist, ist das gesamte Ergebnis Null. Über diese Formel habe ich das erste Mal vor mehr als drei Jahren gesprochen. Heute ist sie aktueller denn je. Der Grund dafür ist: Diese Faktoren bewegen sich nicht mit der gleichen Geschwindigkeit.
Was den ersten Faktor - Fahrzeuge - angeht, so hat sich die Nutzfahrzeugindustrie voll und ganz der Dekarbonisierung verschrieben. Und das sagen wir nicht nur - wir liefern auch. Unsere Industrie bringt mehr und mehr emissionsfreie Fahrzeuge auf die Straße. Bei Daimler Truck hatten wir zum Beispiel Ende 2022 bereits acht emissionsfreie Lkw und Busse in Serienproduktion. Im Laufe des Jahres 2023 werden es schon zehn emissionsfreie Modelle sein. Und in den nächsten Jahren werden weitere Modelle folgen, insbesondere für die Langstrecke. Wir führen ein umfassendes emissionsfreies Portfolio ein, das speziell für die verschiedenen Anwendungsfälle unserer Kunden zugeschnitten ist.
Das bedeutet: Auf dem Weg zum nachhaltigen Transport sind Fahrzeuge und Hersteller nicht das Nadelöhr. Wenn Regulierungsbehörden die Transformation zum emissionsfreien Transport beschleunigen wollen, ist es deshalb nicht hilfreich, den Herstellern noch ehrgeizigere CO2-Ziele vorzugeben.
Ich möchte mich hier ganz klar ausdrücken: Wir werden unsere Ziele als Gesellschaft nicht erreichen, wenn wir so tun, als könnten wir einfach mehr emissionsfreie Fahrzeuge vorschreiben. Um den Wandel wirklich zu beschleunigen, sollten sich die Regulierer eher auf die beiden anderen Faktoren konzentrieren, die ebenfalls erforderlich sind. Denn heute gibt es keine Kostenparität. Und es gibt viel zu wenig Dynamik beim Aufbau einer grünen Energieinfrastruktur. In Europa müssen beispielsweise bis 2030 50.000 öffentlich zugängliche Lkw-Ladestationen in Betrieb sein, um die Ziele zur CO2-Reduktion zu erreichen. Darüber hinaus werden rund 700 Wasserstofftankstellen benötigt. Heute sind nur wenige erste Anlagen in Betrieb.
Meine erste Botschaft heute Abend ist deshalb: Es gibt gute Fortschritte bei emissionsfreien Fahrzeugen - jetzt müssen wir sicherstellen, dass wir mit der grünen Energieinfrastruktur und der Kostenparität aufholen.
Meine nächste Botschaft ist, dass wir nun differenzieren müssen. Denn die Herausforderungen bei der Kostenparität sind ganz andere als die bei der Infrastruktur. Zwar sind beide Faktoren gleichermaßen wichtig, doch die gute Nachricht in Bezug auf die Kostenparität ist: Sie kann relativ schnell erreicht werden, wenn die Politik bereit ist, einige mutige Entscheidungen zu treffen. Beispielsweise durch die richtige CO2-Bepreisung, CO2-basierte Mautgebühren oder Subventionen. Das bedeutet: Kostenparität braucht lediglich den richtigen Rechtsrahmen - und der kann relativ schnell geschaffen werden.
Im Gegensatz dazu kann eine grüne Energieinfrastruktur nicht von heute auf morgen umgesetzt werden. Diese Infrastruktur muss von der Erzeugung grüner Energie bis hin zur Verteilung physisch aufgebaut werden. Um dies noch rechtzeitig zu schaffen, sind zwei Dinge notwendig: Alle Beteiligten müssen sich sofort damit befassen. Und wir müssen die Infrastrukturprojekte drastisch beschleunigen. Heute sind die Vorlaufzeiten oft unverhältnismäßig lang. Auf Anfragen zur Elektrifizierung von Fahrzeugdepots reagieren Energieversorger in der Regel mit mehrjährigen Zeitplänen - und dies ist nur ein Beispiel dafür, dass die Dinge derzeit viel zu lang dauern. Ich stimme daher voll und ganz jenen zu, die für eine Art „Bürokratieabbaugesetz“ plädieren. Eine Blaupause könnte die Errichtung des ersten neuen LNG-Terminals in Norddeutschland sein. Hier waren Genehmigung und Umsetzung eine Frage von Monaten statt von Jahren - das wäre der richtige Weg. Bei Daimler Truck tragen wir dazu bei, die Infrastruktur für grüne Energie aufzubauen. Wir führen intensive Gespräche mit politischen Entscheidern und Energieunternehmen und haben gemeinsam mit Partnern einige wichtige Pilotprojekte gestartet.
In meiner dritten und letzten Botschaft heute Abend geht es um einige wichtige regionale Unterschiede bei der Bewältigung der Transformation zum emissionsfreien Transport. Hier verfolgen Europa und die USA einen recht unterschiedlichen Ansatz. Europa investiert eine beträchtliche Summe in die Subvention von konventionellen, kohlenstoffbasierten Energien. Dass die Politik Bürgerinnen und Bürger bei der derzeitigen Energiepreisinflation entlasten will, ist auch nachvollziehbar. Aber eines muss klar sein: Damit verlangsamt Europa den Wandel, anstatt ihn zu beschleunigen. Die USA hingegen haben einen anderen Weg gewählt. Mit dem „Inflation Reduction Act“ subventionieren die USA nicht die alte Welt. Vielmehr schaffen sie Anreize für zukunftsorientierte Investitionen in die neue Welt des emissionsfreien Verkehrs.
Und es gibt noch ein weiteres Thema, bei dem Europa und die USA unterschiedlich vorgehen. Ich spreche von ihrem Umgang mit konventionellen Antriebstechnologien. In Europa hat die EU-Kommission eine neue Euro VII-Emissionsnorm vorgeschlagen, die zeitlich und technisch kaum realisierbar ist. Dies gilt insbesondere für den Grenzwert der Partikelzahl in Verbindung mit extrem niedrigen Grenzwerten für NOx (Stickoxide) und N2O (Distickstoffoxid). In den USA treibt der jüngste „Clean Trucks Plan“ der Environmental Protection Agency (EPA) die Verbrennungstechnik an ihre Grenzen - aber nicht darüber hinaus. Die Umweltschutzbehörde hat kritische Rückmeldungen von Interessengruppen berücksichtigt und eine Lösung gefunden, die zu einem echten ökologischen Fortschritt führt, ohne die Flottenoptionen wesentlich einzuschränken.
Etwas allgemeiner gesprochen, habe ich hier folgenden Standpunkt: Eine Regulierung muss datengestützt und technologisch machbar sein und die Gegebenheiten des Nutzfahrzeugmarktes berücksichtigen. Nichtregierungsorganisationen, Regierungen, Forscher, Hersteller, Fuhrparks und Energieversorger müssen zusammenarbeiten, um nachhaltige Regulierungen zu schaffen, die den emissionsfreien Verkehr beschleunigen. Und eines ist klar: All das Geld und die Ressourcen, die in noch strengere Emissionsstandards für konventionelle Antriebstechnologien investiert werden, können nicht mehr in emissionsfreie Technologien fließen. Und das würde den Wandel verlangsamen.
Das ist der Denkanstoß, den ich Ihnen zum Abendessen mitgeben wollte. So sehe ich derzeit das große Bild der emissionsfreien Transformation - die Fortschritte wie auch die Herausforderungen. Ich bin zuversichtlich, dass das European Transport and Energy Research Centre dazu beitragen kann, diese Herausforderungen zu bewältigen. Zum Beispiel durch die Bereitstellung von Daten, die wir benötigen, um die jeweils beste Vorgehensweise zu finden, und die wir in Foren wie dem heutigen diskutieren können. Das trägt dazu bei, dass mehr transatlantische Gespräche geführt und mehr Informationen ausgetauscht werden, was wiederum in besseren Maßnahmen resultieren wird. Und jetzt freue ich mich darauf, das alles beim Abendessen weiter zu diskutieren.
Vielen Dank.