Der Titel „Eine Frau erlebt die Polarnacht“ ist denkbar unspektakulär – und passt genau deshalb ganz wunderbar. Denn die Autorin will sich und ihr Buch nicht wichtig nehmen. Aber es ist wichtig. Für mich jedenfalls.
Es geht um die wahre Geschichte einer Frau, die ihrem Ehemann für ein Jahr nach Spitzbergen folgt. Dort zu überwintern bedeutet für Christiane Ritter: Temperaturen von 30 Grad unter null und eine mehr als 100 Tage währende Polarnacht aushalten. Und zwar in einer winzigen Hütte, wo der Ofen mehr Ruß und Rauch abgibt als Wärme.
Wenn ihr Mann auf der Jagd ist, muss sie dort tagelang allein ausharren. Wenn sie länger keine Tiere erlegen, drohen ihnen die Vorräte auszugehen. Um nicht lebendig begraben zu werden, müssen sie die Hütte jeden Tag stundenlang von Schnee befreien. Wegen Sturm und Finsternis kann sie oft nicht spazieren gehen, sondern – wie sie schreibt – nur spazieren kriechen, ein paar Mal um die Hütte herum. Finger und Zehen drohen regelmäßig zu erfrieren. Und zu Weihnachten schenkt man sich einen Witz, mehr gibt es nicht.
All das könnte Christiane Ritter in einem Ton des Jammerns erzählen und man könnte ihr das nicht verdenken. Tut sie aber nicht. Es ist absolut bewundernswert, wie positiv sie die Dinge angeht und aus jeder Situation das Beste macht.
Man kann dieses Abenteuerbuch deshalb auch als Managementbuch lesen. Denn auch ich zum Beispiel stehe täglich vor der Frage, ob ich vor allem die Schwierigkeiten oder die Chancen sehen will. Und für mich ist klar: Selbst wenn das Glas nur zu zehn Prozent voll ist, dann ist das doch schon mal was. Dann konzentriere ich mich darauf und lege von da aus los. Ich lasse mich nicht lähmen von den 90 Prozent, die erstmal noch fehlen.
Es ist aber auch ein Achtsamkeitsbuch. Als es in den 1930er Jahren entstand, war dieser Begriff noch unbekannt. Aber schon damals beschreibt die Autorin die Entschleunigung, die sie erfährt, als sie sich mit dem Schiff langsam der Arktis nähert. Hektik und Oberflächlichkeit ihres gewohnten Alltags fallen von ihr ab. Auf Spitzbergen lebt sie völlig im Hier und Jetzt, mit voller Konzentration auf das wirklich Wesentliche. Dieser Kontrast wäre heute, mit unserem trubeligen modernen Lebensstil, sicher noch viel stärker.
„Eigentlich sollte ein Jahr in der Arktis für jedermann obligatorisch sein“, so Christiane Ritter. „Dort würde jeder erfahren, was in der Welt wichtig ist und was nicht. Was zählt und worauf es im Leben ankommt. Jeder würde auf sein natürliches Maß reduziert werden.“ Wer wie ich dafür nicht gemacht ist, dem ist auch mit der Lektüre dieses Buchs schon sehr geholfen.
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